von Stephanie
Die Bisonfarm liegt im Herzen von Wiltshire, im Südwesten von England, etwa 2 Stunden Fahrt von Heathrow. Auf dem Weg dorthin kommt man an einem der berühmtesten Orte Englands vorbei: Stonehenge. Natürlich legten wir dort einen kurzen Zwischenstop ein. Es ist schon ein merkwürdiges Gefühl, eine belebte Landstraße entlangzufahren und ganz plötzlich in einem Feld direkt neben der Straße dieses Monument aus der Steinzeit zu erblicken. Die tiefe spirituelle Wirkung blieb bei uns leider aus – es waren wohl einfach zu viele Touristen dort.
Endlich hatten wir dann auch die Bisonfarm gefunden – der Weg war für englische Verhältnisse sehr gut ausgeschildert, bereits an der Hauptstraße gab es Hinweisschilder!
Die Bisonfarm liegt in einem Gelände, das von kleinen Hügeln geprägt ist, sehr grün, viele kleine Wäldchen, viele Felder, die meist (typisch englisch) durch Hecken voneinander getrennt sind. Ein Bach fließt durch das Gelände und einen kleinen See gibt es auch. Das Powwow-Camp erstreckte sich über mehrere kleine Felder: das Tipilager mit dem Tanzkreis in einem, Händler in einem anderen, Campingzelte in weiteren Feldern und im Wäldchen. Die Farm war zum Teil miteinbezogen: eine große, an drei Seiten offene Wellblechscheune war mit Teppich ausgelegt worden als Alternative zum Tanzen bei Regen. Hier fand auch abends das Social Dancing statt und einige Händler hatten unter dem Dach ihre Stände aufgebaut. Unsere Gastgeberin Garance hatte die Erlaubnis erhalten, ihr Zelt am Rande des Tipilagers aufzubauen und so waren wir ganz dicht dran am Geschehen. Vom Tipilager (und auch direkt aus unserem Zelt heraus) blickte man auf einen Hügel, auf dem Bisons und ein Rudel Hirsche grasten. Welch ein Anblick!
Der Freitag abend war für uns etwas Besonderes, denn wir waren von einer befreundeten Jingletänzerin zu einer sehr traditionellen Feier/Zeremonie anläßlich der Einweihung ihres neuen Jinglekleides eingeladen worden. Bei Sonnenuntergang begaben wir uns an den ausgewählten Platz außerhalb des Lagers. Welch ein Gefühl, als zunächst die Hirschkühe, dann die Bisons herankamen. Als ob sie die Zeremonie unterstützen wollten. Nach Gebet und Opfergaben an Mutter Erde tanzte Clare zum ersten Mal in ihrem neuen (wunderschönen) Kleid, unterstützt von den anderen Jingletänzerinnen, zu einem Lied von den Centreland Singers. Anschließend gab es noch ein gemeinsames Festmahl (hauptsächlich bestehend aus Doughnuts und Obst – Gaben von Mutter Erde: Brot und Früchte).
Wieder zurück im Lager wurde noch lange am Lagerfeuer geplauscht und die eine oder andere Tasse Tee getrunken.
Der Samstag ging gemütlich los. Grand Entry war ja erst für 13:30 geplant. Als wir anfingen, uns fertig zu machen, wandelte sich der Platz vor unserem Zelt spontan in einen Haarsalon: Französische Zöpfe sind durchaus in Mode, aber nicht jeder kann sie flechten. Einigen Leuten konnten wir aber leider doch nicht weiterhelfen – dem einen Herren hätten wir höchstens „die Platte polieren“ können. ;-)
Dann war es endlich soweit: Graaaand Entryyyyy.
Angeführt von den Fahnenträgern und den Head Dancers setzte sich der Zug der Tänzer in Bewegung und tanzte in den Tanzkreis ein. Immer wieder ein großes Erlebnis!
Das Programm bestand im wesentlichen aus Intertribals und einigen Round Dances. Das Publikum durfte auch teilnehmen, bei Intertribals aber nur, wenn eine Decke bzw. ein Tanzschal getragen wurden. Zu den Höhepunkten des Tages zählte für mich ein Honoring für Noreen und George – seit 60 Jahren glücklich verheiratet und immer noch aktiv auf Powwows dabei. Wirklich bewundernswert!
Ein anderer, sicherlich deutlich spektakulärerer Höhepunkt war der einzige Wettbewerb des Powwows: Switch Dance Contest.
Es fanden sich dann auch etliche Teilnehmer, die sich mit Bestandteilen der Regalia vom anderen Geschlecht ausgetattet hatten (und wenn es auch bei einigen Herren – oder sollte ich sagen Mädels? – „nur“ ein Tanzschal war ...). Alle Bewerber mußten gleichzeitig tanzen, die geplante Trennung der Geschlechter in zwei kleine Kreise wurde nach Protest der Tänzer wieder aufgegeben und dann wurde kräftig miteinander um den Sieg gewetteifert. Einer der Fancy Shawl Herren hätte eigentlich einen Sonderpreis verdient – für die Anzahl der Runden, die er während eines einzigen Liedes zurücklegte. Es war einfach herrlich: der würdevolle Women’s Traditional Mann, die kriegerischen Men’s Traditional Frauen, die mehr oder weniger mühelos dahinflatternden Fancy Shawl Herren und auch ein sich im Wind wiegendes Grass Dance Mädel. Die Bestimmung der Sieger per „Applausometer“ wurde dank AD Bill Tyler großes Entertainment: er übernahm das Mikro und warb noch einmal für jeden Teilnehmer, wobei alle spontan mit neuen (zum neuen Geschlecht passenden) Namen ausgestattet wurden.
Die Sieger (Fancy Shawl) Mel und (Men’s Traditional) Deanna wurden noch einmal mit einem großen Applaus bedacht und dann durften sich alle wieder zurückverwandeln.
Überhaupt wurde viel gelacht: der MC Keith Lord erzählte (zum Teil durch Bill als Co-Moderator unterstützt) immer wieder Witze. Allerdings zeigte sich bei der Auswahl eine (mir) neue Seite englischen Humors: die Witze waren uralt und eigentlich so schlecht, dass man über sie nicht mehr lachen konnte, aber gerade diese Tatsache und WIE sie erzählt wurden, machte die ganze Geschichte doch wieder lustig. Es dauerte nicht lange und das Publikum machte richtig mit. Einer könnte auch auf deutsch funktionieren: „Was bekommt man, wenn man Grassamen mit einer Kuh kreuzt? Einen Rasenmuher.“ Aua!
Außer Tanzen gehört zu einem Powwow auch immer eine Tombola und es wurden viele Preise verlost. Der Hauptgewinn war ein riesiger Teddy-Bär. Zum Glück haben wir nicht gewonnen – wir hätten ihn in meinem kleinen Polo nicht mehr unterbringen können!
Irgendwann war es dann Zeit für Flag Retreat und der offizielle Teil des Samstags war beendet. Aber nachdem man sich umgezogen und mit Nahrung und Tee gestärkt hatte, wurde es Zeit, zum gemütlichen Teil überzugehen.
Viel Publikum hatte sich bereits unter dem Scheunendach versammelt und nachdem die unermüdlichen Centreland Singers ihre Trommel aufgebaut hatten, konnten die Social Dances beginnen: Round Dance, Rabbit Dance, Snake Dance und natürlich die sehr beliebte englische Variante des Owl Dance. Dabei müssen die Paare den Anweisungen eines Callers folgen, der bestimmte Figuren ausruft. Ein wenig wie die Powwow-Variante von Square Dance. Interessant wird das Ganze besonders, wenn die Sänger nach 1 oder 2 Push Ups das Tempo erhöhen und der Caller über die Trommel und den Gesang kaum noch zu hören ist. Besonders wenn dann der Befehl „change partners“ nicht von allen verstanden wird und ein wildes Rennen um die Tanzpartner entsteht.
Wir hatten wirklich sehr viel Spaß an dem Abend!
Das Programm am Sonntag lief ähnlich wie am Samstag: Grand Entry um 13:30, gegen 18:00 Flag Retreat und dann mußten wir uns auch leider gleich umziehen helfen, unser Zelt mit abzubauen.
Zu den Höhepunkten am Sonntag zählten für mich ein Tanz für zwei Fancy Bustle Mädels. Es gibt leider in England wenig Powwow-Nachwuchs und ich fand es klasse, dass die beiden ihren eigenen Tanz bekamen. Sie wurden nach Aufforderung durch den MC von einem Grastänzer (Jonathan von den Centreland Singers) unterstützt. Kurz vor Ende hatten dann die Jingle Damen einmal Gelegenheit, ihr ganzes Können unter Beweis zu stellen: sie bekamen einen Sidestep. Das ist schon in der Halle kein einfacher Tanz, aber auf einer leicht abschüssigen Wiese – Alle Achtung! Alle Achtung auch vor dem Durchhaltevermögen und der immerwährenden guten Laune der Centreland Singers: als einzige Sängergruppe ein 2-Tage-Powwow inklusive abendlicher Social Dances bestreiten – das ist keine kleine Leistung!
Mein Fazit:
Es war ein schönes Powwow. Man hatte Gelegenheit, alte Bekannte wiederzutreffen und neue Kontakte zu knüpfen. Leider waren die Händler etwas abseits gelegen – ich habe mich von der Tanzfläche nicht losreißen können und daher diesmal keine Zeit zum „shoppen“ gefunden. Das Wetter hat nach den Kapriolen in diesem (weitgehend ausgefallenen) Sommer hervorragend mitgespielt. Die Atmosphäre war wunderschön.
Die Leute sind es, die ein Powwow ausmachen. Und wenn vielleicht auch das eine oder andere Outfit keinen Preis gewinnen würde, so sind doch die Leute ungeheuer freundlich (z.B. spontane Einladung zum Abendessen, weil wir so hungrig aussähen) und zeigen immer wieder, wie viel Respekt sie vor der Native American Culture haben.